Am 2. Januar starb Olexandr Romanyuk. Gefallen an der Front in der Nähe von Pokrovsk beim Versuch einige eingekesselte Kameraden zu befreien. Viel zu früh aus dem Leben gerissen mit gerade einmal 41 Jahren. Olexandr war mein Nachbar.
Er wohnte mit seiner Familie, Frau und Kind bei uns im Hinterhof auf der gegenüberliegenden Seite. Ich hatte ihn selbst nicht oft persönlich getroffen, da er die weitaus meiste Zeit der letzten drei Jahre an der Front verbrachte und nur sehr selten einige Tage Fronturlaub hatte. Dennoch verfolgten wir gebannt seine Erlebnisse mittels Videos und Bildern, die er regelmäßig von der Front schickte.
Er hatte sich unmittelbar zu Beginn der russischen Invasion als Freiwilliger gemeldet. Zuerst war er in der Nationalgarde, dann an verschiedenen Frontabschnitten unterwegs. Im letzten Sommer in der Region Saporischschja erlebte er vielleicht seine bittersten Stunden.
Bei einem kurzen Gegenangriff war er vom Rest seiner Einheit abgeschnitten worden. Eine Woche lang war er zusammen mit wenigen Kameraden in der Untertunnelung einer Straße in großen Rohren gefangen. Die Russen griffen sie immer wieder von beiden Seiten der Straße aus an. Dabei wurde Olexandr auch am Arm getroffen. Nur durch die Unterstützung von ukrainischen Drohnen aus der Luft konnten sie letztendlich doch noch befreit werden.
Uns fiel damals ein Stein vom Herzen, als wir die Information bekamen, dass er diesen Horror überlebt hatte und er jetzt als Verwundeter erst einmal nicht an die Front brauchte. Geschichten wie diese, in denen er dem Tod mehrfach von der Schippe sprang, und sein unbeschwerter, lockerer Umgang damit, gaben ihm eine gewisse Aura der Unverwundbarkeit. So als ob ihm dieser Krieg nichts anhaben könne.
Seine Einheit wurde derweil nach Pokrovsk verlegt. Den derzeit wohl gefährlichsten Frontabschnitt. Es machte ihm schwer zu schaffen, dass seine Einheit dort schwere Verluste erlitt. Kameraden, die für ihn wie Brüder geworden waren. Aus Pflichtbewusstsein und Solidarität meldete er sich daher nach kurzer Genesungszeit wieder in seiner Einheit zurück, obwohl er bereits nach geltendem Recht aus dem Wehrdienst hätte ausscheiden können.
Aber es gibt wohl keine Glückssträhne, die ewig hält. Es traf uns wie ein Schock, als wir Anfang Januar von seinem Tod erfuhren. Beim Versuch, eingekesselte, verletzte Kameraden zu befreien, erwischte es ihn. Ein tödlicher Treffer aus dem nichts, ohne Vorwarnung. Zack — tot.
Abgesehen von gelegentlichen Drohnen- und Raketenangriffen ist in Odessa der Krieg meist „weit weg“. Und dann steht doch plötzlich der Tod im eigenen Haus, ist plötzlich kein abstraktes Nachrichtenthema mehr, sondern sehr, sehr real.
Gestern war seine Beerdigung in einem kleinen Städtchen in der Nähe von Odessa. Ein langer Trauerzug von Menschen, die ihn von seinem Elternhaus zum Friedhof geleiteten, Ehrengarde, Fahnen, Blumen, Priester, orthodoxe Trauermusik, eine Ansprache des Bürgermeisters. Eine würdige Beerdigung für einen tapferen Menschen, der sein Leben für die Gemeinschaft geopfert hat. Einem Helden der Ukraine. Der Held unserer Nachbarschaft.
Danke, Sascha!
Lebewohl!