An die Linke zum Wahltag

Die Linke

Die Wahl­­ergeb­nisse bei den heutigen Land­­tags­­wahlen haben viele von uns entsetzt und erschreckt. Über­­raschend kommen die Wahl­­erfolge der AfD aber nicht. Angela Merkels Politik der sozialen Ignoranz und ihre Hand­­habe der Flücht­­lings­­krise haben zu einer massiven Rechts­­verschie­bung des politischen Spektrums geführt.

Das täglich spürbare Staats­­versagen auf allen wichtigen Politik­­feldern, das durch die Flücht­­lings­­krise verschärft wurde – vom Mangel an bezahlbarem Wohnraum über ein chronisch unter­finanziertes Bildungs­system bis zur Frage der inneren Sicher­heit – haben viele Menschen extrem verunsichert und zu berechtigten Ängsten, Ohnmachts­gefühlen und auch Wut geführt. Wer soll Merkels „Wir schaffen das“ glauben, wenn sie es seit Jahren noch nicht einmal schafft, wachsende Armut und den Abstieg großer Teile der Mittel­schicht hier im Land zu verhindern. Und die SPD hat leider nach wie vor nichts besseres zu tun, als Merkel bei ihrer fatalen Politik den Rücken freizuhalten. Genau auf diesem Boden der Verunsicherung und der Ängste ist es der AfD gelungen, sich mit einfachen Parolen gegen Flüchtlinge, aber auch gegen die gesamte etablierte Politik als Sprachrohr des Protestes zu profilieren. Unser Entsetzen über diese Wahlerfolge und unsere Betroffenheit angesichts unserer eigenen Niederlagen müssen uns jetzt allerdings auch motivieren, über unsere eigene Politik und Strategie nachzudenken. Richtig: es ist in diesem politischen Klima sehr schwer, mit linken Positionen zu punkten. Aber wäre es nicht wichtig gewesen, sich stärker von der sozial verantwortungslosen Ausgestaltung der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition abzugrenzen, statt den Medien zu ermöglichen, uns als scheinbare Unterstützer der Merkelschen Flüchtlingspolitik mitzuverhaften? Wo haben wir den Kontakt zu den sozialen Interessen unserer eigenen Wähler verloren? Weshalb sind wir in den Augen so vieler offenbar zum Teil des etablierten Parteienkartells geworden und werden nicht mehr hinreichend als profilierte Gegenkraft wahrgenommen? Haben wir die soziale Frage vielleicht nicht mehr genug in den Mittelpunkt gestellt? Über solche Fragen sollten wir sachlich und respektvoll diskutieren. Damit es uns bei den nächsten Wahlen wieder besser gelingt, dass Menschen, die sich von der herrschenden Politik aus gutem Grund abwenden, uns als ihre soziale Interessenvertretung wahrnehmen, statt einer im Kern antisozial ausgerichteten Partei wie der AfD ihre Stimme zu geben.

Sarah Wagenknecht

Liebe Frau Wagenknecht,

Ich denke nicht, dass die Linke zum etablierten Parteienkartell gezählt wird, und ich denke auch nicht, dass es schwer wäre, derzeit mit linken Positionen zu punkten. Die Ursachen der beklagten Wahlschlappe sind hausgemacht, und meines Erachtens nach primär in der unstimmigen Position zur aktuellen Migrationswelle zu suchen.

Es scheint mir grundsätzlich das Verständnis zu fehlen, dass Menschen in Deutschland mit sowieso schon schwieriger Einkommenssituation Migranten jeder Art, und schlecht ausgebildete im Besonderen, als reale Konkurrenz zu betrachten haben, sowohl um Arbeitsplätze, als auch um staatliche Zuwendungen. Wenn Amazon jubelnd Jobangebote für drei Euro die Stunde proklamiert, sollte das auch beim letzten Linkspolitiker die Alarmglocken schrillen lassen, dass uns gerade die nächste Runde Lohndumpging bevorsteht. Wirtschaftslobby und Linkspolitiker gemeinsam beim Bejubeln der Willkommenskultur? Irgendwas ist da faul!

„Weltoffenheit und Toleranz“ als „Grenzöffnung für Jedermann“ und „Brot für die Welt“ zu interpretieren, mag vielleicht ein diskussionswürdiger Standpunkt sein – meiner ist er nicht. Dennoch ist nicht jeder, der das anders interpretiert gleich ein Rechtspopulist, Nazi, Ewiggestriger oder anderweitig zu diffamierender, unterbelichteter Volltrottel. Toleranz, richtig? Auch durch solche Verurteilungen kann man Wähler loswerden.

In Aussagen zur aktuellen Migrationswelle scheint mir von Seiten der Linkspartei sehr häufig Asyl und Migration aus wirtschaftlichen Motiven in einen Topf geworfen zu werden. Das fängt bereits bei der permanenten Verwendung des Wortes „Flüchtlinge“ an, wo die weniger emotional aufgeladene Bezeichnung „Migrant“ die Sachlage vielfach wesentlich korrekter beschreiben würde.

Die Forderung, die Ursachen der Migration zu bekämpfen, völkerrechtswidrige Angriffskriege und das Wegputschen von Regierungen zu unterlassen, die wirtschaftliche Situation in den Ursprungsländern zu verbessern sind alle gut und richtig. Aber es sind alles langfristige Forderungen, die frühestens in einigen Jahren Früchte tragen, so sie denn überhaupt Erfolg haben. Glaubt wirklich jemand, dass sich die USA von unserer Bundesregierung daran hindern lassen würden, das nächste dort in Ungnade gefallene Land in Chaos und Anarchie zu stürzen, pardon, mit Freiheit und Demokratie zu segnen?

Der aktuelle Zaunbau dagegen hat trotz aller Hässlichkeit der illegalen Zuwanderung scheinbar recht schnell und effektiv einen Riegel vorgeschoben. Wir lernen, ja man kann seine Grenzen dicht machen, und das sogar wesentlich einfacher als uns ständig erzählt wird. Tatsächliche Kriegsflüchtlinge kann man nun auch trotz Zaun gerne weiter aufnehmen. Zumindest besteht jetzt aber überhaupt wieder die Möglichkeit, bestehende Gesetze durchzusetzen und ureigenste staatliche Aufgaben wieder uneingeschränkt wahrzunehmen. Hätte man die Migrationswelle uneingeschränkt weiter laufen lassen, könnte man das Konzept von Nationalstaaten mittelfristig auch gleich ganz blieben lassen, und würde dann früher oder später wohl wieder bei Anarchie oder Despotismus landen. Solche Tendenzen zur Untergrabung staatlicher Strukturen möchte sich sicher niemand auf die Fahne schreiben.

Ich bin durchaus ein Freund von geregelter Zuwanderung und der Meinung, dass die Hürden hier massiv abgebaut werden sollten. Aus dem persönlichen Umfeld weiß ich, wie haarsträubend schwierig es z.B. für ein ukrainisches Ärztepärchen, mit guten Deutschkenntnissen ist, nach Deutschland zu ziehen und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Dabei stellen sie sozusagen den Idealfall von potenziellen Zuwanderern dar. Ich dramatisiere: Statt dessen lieber äthiopische Analphabeten und marokkanische Drogendealer im großen Stil einbürgern? Die meisten anderen Länder achten bei Immigration auf den Nutzen für das jeweilige Land, stellen Forderungen an Sprachkenntnisse, Ausbildung oder Alter. Wieso sollte Deutschland hier eine Ausnahme bilden und auf eine Kosten-Nutzen-Abwägung verzichten?

Ich würde mich sehr freuen, wenn auch angesichts der Wahlergebnisse, die Migrationsthematik sowohl in Deutschland als auch insbesondere innerhalb der Linkspartei wieder mit weniger Scheuklappen und Beißreflexen diskutiert werden würde. Vielleicht kommt ja doch noch eine stimmige Position dabei heraus!