Vier Lecks, viele Verdächtige

Am 26.9.2022 wird ein Sabotageakt an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 durchgeführt. Die Medien beachten dieses Ereignis zunächst kaum und erst am nächsten Tag kommen die Meldungen auch in der breiten Öffentlichkeit an. Zunächst einige relevante Schlagzeilen aus dem Vorfeld.

Wie man sieht, hatten die beiden deutsch-russischen Pipelines einige erklärte Gegner und in letzter Zeit auch häufiger Besuch. Obwohl sich bisher niemand zu diesem Sabotageakt bekannte, scheint der Großteil der Presse bereits klar einen Schuldigen gefunden zu haben. Mögliche Motive und auch die technischen Möglichkeiten dazu scheinen jedoch einige weitere mögliche Tathergänge zu erlauben. Daher sollte sich eine vorschnelle Verurteilung verbieten, insbesondere noch vor einer eingehenden Untersuchung der Leckstellen.

Verschiedene Verdächtige

Verschiedene Alternativszenarien für mögliche Motive und Täter wurden bereits durch Torsten Heinrich, William Spaniel, den ehemaligen BND-Chef August Hanning und Prof. Christian Rieck diskutiert. Als mögliche Täter werden dabei nicht nur Regierungen, sondern auch verschiedene Gruppierungen gehandelt:

  • Russland auf Befehl Putins
  • Russische Hardliner und Oppositionelle
  • USA
  • Ukraine
  • Polen
  • Deutsche Bundesregierung
  • Klimaterroristen

Regime Putin

Gegen Russland als Täter spricht zunächst klar, dass es eigene russische, milliardenschwere Infrastruktur war, die dabei zerstört wurde. Russland hatte sowieso die vollständige Kontrolle über beide Pipelines und muss diese nicht erst zerstören, wenn es darüber kein Gas liefern wollte. Der Gasverkauf an die EU ist dabei einer der wesentlichen Devisenbringer Russlands und Nord Stream 2 wurde gerade erst fertiggestellt.

Dennoch gibt es mögliche Gründe, warum Russland seine eigene Pipeline gesprengt haben könnte. Putin spricht seit längerem davon, dass er sich eigentlich gar nicht im Krieg mit der Ukraine befindet, sondern mit dem Westen an sich. Um diese Aussage innenpolitisch glaubwürdig untermauern zu können, käme ihm ein inszenierter NATO-Angriff auf eigene Infrastruktur a la „Sender Gleiwitz“ durchaus nicht ungelegen, um die Motivation seiner Truppen zu steigern. Denn für eine Verteidigung lassen sich Menschen deutlich einfacher motivieren, zu den Waffen zu greifen, als für einen unprovozierten Überfall auf ein Nachbarland.

Gleichzeitig mag es auch sein, dass die Pipelines innenpolitisch mittlerweile als recht wertlos betrachtet wurden, wenn intern davon ausgegangen wurde, dass Deutschland und Europa bei der Sanktionspolitik hart bleiben würden. Dagegen spricht jedoch, dass die russische Propaganda nach besten Möglichkeiten daran arbeitet, innerhalb Deutschlands die Werbetrommel für die Öffnung von Nord Stream 2 zu rühren. Und da die innerdeutsche Forderung nach einer Öffnung von Nord Stream 2 derzeit immer lauter wurde, wäre der Zeitpunkt der Sprengung eher unpassend.

Russische Hardliner und Oppositionelle

William Spaniel argumentiert, dass vielen Hardlinern Putins Kurs gegenüber dem Westen nicht hart genug ist. Mit der Sprengung der Pipeline könne die Kriegsspirale beschleunigt und eine Mobilisierung und militärische Offensive entschiedener vorangetrieben werden.

Gleichzeitig mögen auch russische Oppositionsgruppen ein Interesse daran haben, die größte Finanzquelle des Regimes Putin zu zerstören. Deutschland hätte damit auch weniger Motivation, einen Kuschelkurs mit Putin zu fahren, da mit einer zerstörten Pipeline nicht mehr über Gaslieferungen verhandelt zu werden brauchte.

Erinnert sei auch an eine ganze Reihe hoher Gazprom-Vertreter und -Miteigentümer, die in letzter Zeit unter seltsamen Umständen, oft einschließlich ihrer Familien ums Leben kamen. Viele hatten sich zuvor kritisch gegenüber Putins Ukraine-Invasion geäußert. So könnte die Sabotage der Pipeline z.B. mittels sogenannter Molche ein Racheakt für verlorene Familienangehörige gegen die Achillesferse von Putins Geldquellen gewesen sein.

Die USA

Den USA ist Nord Stream 2 bereits seit der Planungsphase ein Dorn im Auge. So forderte Condolezza Rice bereits 2014, Russlands Öl- und Gasexporte härter zu sanktionieren. Zusammen mit dem jetzt massiven Ausbau von LNG-Terminals in Europa und dem Import von US-Flüssiggas, welches anderweitig auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig ist, ergibt sich hier ein klares wirtschaftliches und geostrategisches Interesse der USA an der Zerstörung der Pipelines.

Durch die über mehrere Monate hinweg durchgeführten Manöver in der Ostsee hätte auch genug Zeit zum Anbringen von Sprengsätzen bestanden. Und dass man in den USA zuversichtlich sein kann, kaum Konsequenzen aus dem publik werden solcher Sabotageaktionen „unter Freunden“ zu tragen, konnte man zuletzt bei Angela Merkels abgehörtem Handy oder der im Rahmen der Snowden-Veröffentlichungen bekannt gewordenen Industriespionage bei Airbus und Siemens beobachten. Zudem sind die meisten Medien in Deutschland derart gut in transatlantische Netzwerke integriert, dass von dort keinerlei kritische Nachforschungen oder auch nur Nachfragen zu erwarten sind.

Ukraine und Polen

Beiden Ländern sind russische Gasexporte nach Deutschland ein massiver Dorn im Auge, da sie voll hinter den Sanktionen russischer Brennstoffe stehen. Zudem besitzen beide Länder Transit-Pipelines von Russland nach Europa. Durch die beiden Nord Stream Pipelines entgehen beiden Ländern Durchleitungsgebühren in Milliardenhöhe.

Während Polen noch als Teilnehmer von BALTOPS und als Ostsee-Anrainer einfache Möglichkeiten zur Sabotage gehabt hätte, kann man dies über die Ukraine kaum behaupten. Für beide Länder gilt, dass ein publik werden einer Sabotage massive außenpolitische Spannungen mit Deutschland provozieren würde. Der außenpolitische Schaden dürfte deutlich größer sein als der sich dadurch ergebende geopolitische Vorteil. Zumal die Pipelines sowieso auf Eis lagen.

Die Bundesregierung

Obwohl Deutschland neben Russland unmittelbar Opfer dieser Sabotage ist, gibt sich die Bundesregierung derzeit auffällig ruhig. Anstatt unmittelbar und umfassend eigene Ermittlungen anzustellen, hat man lediglich „Dänemark und Schweden Unterstützung bei der Untersuchung“ zugesagt.

Die Bundesregierung hat dabei bereits die letzten Monate gezeigt, dass an der Öffnung von Nord Stream 2 kein Interesse mehr besteht. Jeglicher innenpolitische Druck dahingehend wurde bereits vor der russischen Invasion in die Ukraine konsequent abgebügelt. Eine „finale Lösung“ der Pipelinefrage, in Erwartung eines frostigen Winters und zunehmender Demonstrationen gegen die horrenden Energiepreise, mag der Bundesregierung nicht ungelegen sein. Zudem wäre sie in federführender Position bei der Aufklärung der Sabotage auch in einer guten Position, eine eigene Beteiligung zu vertuschen und falsche Anschuldigungen zu streuen.

Klimaterroristen

Klimaextremisten wie die Extinction Rebellion scheinen sich zusehends zu radikalisieren und blinde Zerstörung und Sabotage z.B. von Lastwägen und SUVs als legitimes Mittel zur Erreichung ihrer Ziele zu betrachten. Greenpeace hat bereits bewiesen, dass sie Tauchgänge zu Pipelines durchführen können. Logistisch betrachtet fehlt dann nur noch ein Chemiker, der ein paar Fässer Sprengstoff anrührt. Gegen eine Beteiligung solcher Gruppen spricht jedoch, dass für diese ein solcher Anschlag primär Sinn ergeben würde, wenn er mit einer Botschaft und einem Bekennerschreiben verknüpft werden würde. Der primäre Zweck eines solchen Anschlages wäre das Senden einer Botschaft. Bisher jedenfalls ist das nicht erfolgt.

Fazit

Aktuell gibt es eine ganze Reihe an Kandidaten mit plausiblen Motiven und Möglichkeiten, wer die Pipelines sabotiert haben könnte. Es wäre unseren Medien dringend anzuraten, keine vorschnellen Verurteilungen zu fällen, sondern vehement eine saubere und ergebnisoffene Aufklärung zu fordern!

Die Pipeline ließe sich auch sehr sicher binnen weniger Monate wieder reparieren. Pipelines werden international immer wieder durch Anker und Erdrutsche beschädigt. Reparaturen sind daher zwar teuer, aber nichts Unbekanntes.

Am Willen zur Aufklärung und zur Reparatur wird man sehen, ob zügig Klarheit geschaffen werden soll oder doch eher Geheimniskrämerei betrieben wird, um eine unbequeme Wahrheit zu vertuschen. Aktuell sieht es leider mehr nach letzterem aus.