Wählen gehen?

Etliche prominente und nicht prominente, regierungs­kritische Stimmen halten Wahlen für vollkommen sinnlos, um politische Änderungen zu bewirken. Beliebt ist der alte Spruch „Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie verboten“. Und selbstverständlich erscheint es schon lange völlig egal zu sein, welche Partei man wählt, wenn hinterher sowieso Merkel wieder auf dem Kanzlerthron sitzt. Sollte man also deshalb Wahlen gleich komplett meiden?

Um zunächst einen Eindruck zu bekommen, wie störend „falsche“ Wahlergebnisse für die Regierenden und deren Strippenzieher sein können, braucht man sich nur das Gezeter anschauen, das derzeit um die AfD gemacht wird, oder vor 35 Jahren um die Grünen. Oder den Aufschrei, als plötzlich unerwartet Trump Präsident wurde. So lange eine Partei nicht zu großen Teilen unterwandert und durch Bestechung und Erpressung kontrollierbar ist, stellt sie eine ernste Bedrohung für den Machtapparat dar. Denn auch in der Opposition haben kleine Fraktionen durchaus Möglichkeiten, sich in Ausschüssen einzubringen, Untersuchungsausschüsse einzufordern, und unangenehme Auskünfte von Behörden einzufordern. Und bei jeder Oppositionspartei besteht immer die „Gefahr“, dass sie bei der nächsten Wahl noch mehr Stimmen bekommt, und doch einmal die Mehrheit stellt.

Nicht-wählen ist kein Protest

Natürlich hilft es nichts, bei einer Wahl den etablierten Blockparteien die Stimme zu geben. Da könnte man sich in der Tat das Wählen auch sparen. Denn geht man nicht wählen, profitiert davon indirekt immer die größte Partei. Also genau diejenige, gegen deren Politik man mit dem nicht-wählen ja gerade protestieren wollte. Kann man das dann überhaupt als Protestform bezeichnen? Ist es Protest gegen Merkel, wenn ich durch nicht-wählen lediglich dazu beitrage, ihr die Wiederwahl noch einfacher zu machen? Wohl kaum!

Denn ob man durch seine Wahlteilnahme „das System legitimiert“ oder nicht, interessiert das System herzlich wenig. Das Resultat ist immer das gleiche: Merkel (oder eine andere Marionette) sitzt wieder auf dem Thron. Es ist völlig egal, ob der Nichtwähler-Anteil dabei bei 30% oder bei 60% liegt. Die Presse wird kurz über die Wahlmüdigkeit jammern, Unverständnis über die Nichtwähler äußern und die ach so tolle Fassadendemokratie in höchsten Tönen preisen – das wars! Zur Wahl zu gehen und seinen Wahlzettel ungültig machen ist übrigens genauso sinnlos. Merkel wird sich herzlich bedanken.

Wie viel effizienter wäre es dagegen, wenn all die 30%+ Nichtwähler endlich anfangen würden, gemeinsam für eine neue Politik zu stimmen, und diversen Splitterparteien einfach mal „spaßeshalber“ über die Fünf-Prozent-Hürde helfen würden? Denn im Gegensatz zu anderen Ländern scheinen mir die Wahlen in Deutschland kaum manipuliert zu werden – einer der positiven Aspekte der deutschen Ordnungsliebe und des umfassenden Meldewesens. Das Wahlergebnis wird bestmöglich über die Medien gesteuert, und (noch) nicht über Wahlbetrug.

Um kritische Oppositionsparteien zu etablieren, wäre es aber zwingend erforderlich, dass sich die lauten Stimmen innerhalb der alternativen Medien endlich von ihrem Nicht-Wahl-Mantra verabschieden. Denn auch als Systemkritiker sollte keinem eine Zacke aus der Krone fallen, einmal alle vier Jahre ein Kreuzchen aufs Papier zu machen. Keiner wird dadurch von anderen fundamental-oppositionellen Aktivitäten abgehalten. Und natürlich sollte auch kein Wähler seinen Protest auf dieses Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu beschränken. Je mehr außerparlamentarische Opposition, umso besser. Das erhöht den Druck auf die Regierungsparteien, ihren Kurs mehr im Sinne der Opposition auszurichten. Wie das funktioniert, konnte man während des Aufstiegs der Grünen gut beobachten.

Zu bedenken auch: Was wären denn die Alternativen? Wie stellen sich Wahlkritiker einen Wandel ohne Wahlen vor? Da kommt häufig der Spruch „Mach doch einfach nicht mehr mit“. Oder man hört diverse Wunschvorstellungen irgendeiner Sozialutopie ohne Geld, mit Tauschwirtschaft und so weiter. Aber konkrete Ideen, die nicht nur für 100 Leute in einem Dorf funktionieren würden, sondern für eine moderne Industriegesellschaft, und klare Schritte, wie man denn dort hin käme, hört man nicht. Gelegentlich unternehmen auch noch drei Einzelkämpfer den Versuch mit einer fix zusammengestrickten Webseite eine neue Verfassung etablieren zu wollen, ohne überhaupt ein breiteres Publikum an der Frage beteiligt zu haben, wie diese denn aussehen sollte. So berechtigt die Forderung nach einer neuen Verfassung auch sein mag, die Vorgehensweise wirkt wenig ausgegoren und durchdacht. Wenn sich ohne Wahlen etwas ändern soll, scheint mir dies kaum ohne blutige Revolution oder kriegerische Interventionen aus dem Ausland denkbar. Und das will letztendlich auch keiner!

Mein Appell

Sehr geschätzte alternative Medienvertreter,
liebe bisherige Nicht-Wähler!
Bitte hören Sie auf, den Leuten das Wählen ausreden zu wollen! Sie torpedieren dadurch lediglich ernsthafte Versuche, eine vernünftige Politik in Ihrem Sinne auf friedliche und demokratische Weise zu etablieren! Auch wir wollen große Veränderungen in diesem Land. Wir wollen die Fassadendemokratie in eine Demokratie umbauen, die diesen Namen auch verdient, eine möglichst direkte Demokratie. Das Kreuzchen auf dem Zettel kann dabei helfen, in jedem Fall wird es niemandem schaden!
Herzlichen Dank!

Weitere Argumente gegen die Wahlverweigerung

Roland Müller hat noch weitere Argumente gegen die Wahlverweigerung gesammelt. Hier sein Beitrag!

Roland Müller: Argumente gegen die Wahlverweigerung
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